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Die macht des Shitstorms - der tobende Mob

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RaoulDuke:
"Der Nagel, der heraussteht, wird eingeschlagen" sagt ein japanisches Sprichwort.

Als ich heute morgen in der Bahn einen Artikel in der Zeit las, mit dem Titel "Die Erotik des Shitstorms" (jedenfalls hiess der Link so, was ist heute schon noch der Titel) kam ich ein wenig ins Grübeln.

Das Internet hat zweifelsfrei die Mittel der Meinungsäußerung dramatisch verändert, und zum Teil massiv eingewirkt auf Themen wie die arabischen Revolutionen, Konflikte zwischen aus Sicht der Politiker angeblich so verfeindeten Staaten (beispielsweise "Israel Loves Iran") und so viel Gutes getan. Auch dass wir uns hier austauschen können und das wie eine Selbstverständlichkeit betrachten, ist ja Folge des Internets.

Also alles Juhu?

Wie so viele zunächst grenzenlos gehypte Dinge scheint auch das Netz auch meiner Sicht seine Schattenseite zu haben. Als Folge der Tatsache, dass sich nun jeder zu jedem Sachverhalt äußern kann, und das deutlich und vernehmbar, ohne aus dem Schatten der Anonymität heraustreten zu müssen, entsteht auch etwas anderes: Die Möglichkeit zur Ansammlung von etwas, was bei den Simpsons immer heraufzieht, wenn die Leute nach ihren Fackeln und Mistgabeln greifen - einem wütenden Mob. Man muss nicht einmal mehr raus auf die Strasse und demonstrieren, man kann sich einfach dem neuen Volkssport des Online-Lästerns hingeben, der einen ungeheuren Druck erzeugen kann. Katja Riemann ist mal schlecht drauf und zickt rum? Das Netz tobt und urteilt vernichtend, es folgt Bashing ohne Ende. So ein Schlagerbarde namens Michael Wendler tut irgendwas nerviges im Privatfernsehen, schon gibt es eine Facebook-Seite "100.000 Menschen, die Michael Wendler scheiße finden" und sie hat 230.000 Fans. Keine Ahnung, was das für ein Typ ist, aber traut der sich noch auf die Straße? Ein Schlecker-Marketingmitarbeiter äußert sich abfällig über Kunden ("mittleres bis niedriges Bildungsniveau")? Feuer frei auf diese lächerlichen Trottel. Naja, sind ja nun auch Pleite.

Da entsteht ein unheimlicher Druck auf Personen des öffentlichen Lebens, auf Politiker, auf Prominente, auf Mitarbeiter von Unternehmen, auf Musiker, auf Sportler JA BLOSS NICHTS verkehrt zu machen und bloß den Kopf unten zu halten. Patzer können ja schließlich in einem Repoutationsschaden enden, der einer öffentlichen Exekution gleicht. Und wer sich jetzt im Netz verewigt hat mit irgendwelchen Aussagen, zu denen man vielleicht sogar verschiedene Meinungen haben kann, kann doch auf eine Karriere als Politiker, Künstler oder Sportler doch nur noch hoffen, wenn er damit leben kann, vielleicht wegen eben dieser Aussagen irgendwann später an einem sonnigen Sonntagnachmittag zershitstormt zu werden.

"Satanist im Bundestag!"

"Prof. Dr. XYZ ist ein fieser Gruftie!"

"XYZ-Manager Soundso ein Perverser?"

OK, einseitige Beispiele - man muss ja nicht einmal prominent oder bekannt sein dafür, aber man muss damit rechnen, dass neben der Tastatur und allem was man tut nun immer der wütende Mob auftauchen kann, oder?

Kenaz:
Es ist die grenzenlose Dummheit der Menschen als Masse, mit der man immer rechnen muss - das Internet macht diesen betrüblichen Tatbestand nur überdeutlich sichtbar. Im Grunde genommen begegnen wir im Zuge dieser Überlegungen dem Hauptargument gegen Meinungsfreiheit und Mitbestimmung der Masse überhaupt und damit gegen die Demokratie im ganzen: Wie zur Hölle sollen ungebildete, uninteressierte und desinformierte Lebensformen etwas Konstruktives für ein Gemeinwesen bewirken? No way, da sie entweder in ihren kleinen Gedankenschlaufen verharren oder aber von anderen im Sinne ihrer Interessen manipuliert und funktionalisiert werden, ohne das auch nur im entferntesten zu bemerken.

Und könnte ich mit einer tragkräftigen Alternative aufwarten, so zöge ich sofort mit aller mir zu Gebote stehender Kraft gegen beides - freie Meinungsäußerung (und zwar keineswegs nur im Internet) und die demokratische Staatsform - zu Felde. Da mir jedoch auch nach langer, langer Grübelei keine einfällt, sehe ich keine andere Möglichkeit, als sich für beide einzusetzen und die negativen Begleitumstände - die zweifellos die allgemeine Zersetzung gesellschaftlicher Strukturen kontinuierlich beschleunigen - zähneknirschend hinzunehmen.

Eisbär:

--- Zitat von: Kenaz am 03 April 2013, 12:34:36 ---Und könnte ich mit einer tragkräftigen Alternative aufwarten, so zöge ich sofort mit aller mir zu Gebote stehender Kraft gegen beides - freie Meinungsäußerung (und zwar keineswegs nur im Internet) und die demokratische Staatsform - zu Felde. Da mir jedoch auch nach langer, langer Grübelei keine einfällt, sehe ich keine andere Möglichkeit, als sich für beide einzusetzen und die negativen Begleitumstände - die zweifellos die allgemeine Zersetzung gesellschaftlicher Strukturen kontinuierlich beschleunigen - zähneknirschend hinzunehmen.

--- Ende Zitat ---
"Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind." Winston Churchill

NoName:
"Demokratie", so wie wir sie heute kennen, ist die Regierungsform, mit der man Menschen am effektivsten manipulieren und ausbeuten kann. Ich glaube, DAS ist der eigentliche Grund für ihren Siegeszug.

RaoulDuke:
Hm.

Also mir kommt es manchmal vor, als sei die Demokratie weder in der Lage noch willens, effiziente, richtige, verläßliche und auch langfristig optimale Entscheidungen zu treffen. Dazu erscheint sie mir instabil, manipulierbar, wegen der Wirkung der Außen- auf die Innenpolitik über Strecken kriegslüstern und bei strenger Anwendung des Mehrheitsprinzips eine Blaupause zur Unterdrückung von Minderheiten zu sein.

Nach Aristoteles' Staatsformenlehre zählt sie denn auch zu den "entarteten" Staatsformen, bei denen das Wohl der Herrschenden und nicht das Wohl des Volkes im Mittelpunkt steht. Zu den "guten" Staatsformen gehören bei ihm die Monarchie, die Aristokratie und die Politie, wobei letztere eine Art Oligarchie ist, in der die Guten und Besonnen die Führung innehaben.

So weit, so schlecht - aber die Konkurrenz sieht auch ziemlich übel aus, womit Eisbärs Churchill-Zitat wohl sticht...

Kommunismus und Faschismus zeigten ja bereits, wozu sie fähig sind - aber war das wirklich schon alles, was es gibt und geben kann?

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